Mo 15. November 2021
Der Wetter- und Datenexperte Günther Tschabuschnig erklärt, wie die computergestützte Analyse des komplexen Himmelsgeschehens heute funktioniert: als permanente Verarbeitung riesiger Datenmengen mit Hilfe von KI.
Herr Tschabuschnig, Sie sind Chief Information Officer der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), also der wichtigsten Institution für die Wetteranalyse und -prognose in Österreich. Sie haben den digitalen Wandel Ihres Unternehmens federführend mitbestimmt. Wie würden Sie diese grundlegende Neuausrichtung allgemein beschreiben? Wie hat es begonnen und was bedeutet die Digitalisierung heute in Ihrer unternehmerischen Praxis?

Begonnen hat es 1851 mit der Gründung der ZAMG und von da an betreiben wir auch Data Analytics. Damals natürlich noch ohne digitale Unterstützung, aber die Methodik war eine ähnliche. Mittlerweile basiert fast alles auf automatisierten Prozessen und hoch integrativen Services. Die ZAMG ist kein reines Unternehmen mehr, das Wetter vorhersagt, sondern ein Hightech-Standort mit mehreren Petabyte an Daten in den Rechenzentren. Zudem beherbergen wir noch das Satellitendatenzentrum der ESA und das Klimadatenzentrum Österreichs.

Günther Tschabuschnig, Chief Information Officer der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG): Günther Tschabuschnig, Chief Information Officer der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG)
Günther Tschabuschnig, Chief Information Officer der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG)
Woher kommen all die Daten, die Sie verarbeiten?

Allein von den Sentinel Satellitenmissionen (Erdbeobachtungssatelliten des Copernicus-Programms) bekommen wir Bilder, die rund 20 Terabyte pro Tag darstellen und die es sowohl zu managen als auch zu verarbeiten gilt. Dazu kommt die hohe Frequenz an neuen Daten – rund 100.000 pro Minute. Diese stammen einerseits von unseren rund 270 Wetterstationen, andererseits von IOT (Internet of Things), Bürgerinnen und Bürgern über Apps und Mobile Devices wie EWOB oder AWOB (Austrian Weather Observer), oder von alternativen Datenquellen, wie Autos, Handys usw. Die Kunst ist es, scharfe und unscharfe Daten in unser Modell zu assimilieren und zu optimieren. Je mehr Daten, desto höher ist zwar der Aufwand, aber desto granularer d. h. detaillierter können wir Vorhersagen treffen.

Rechenzentrum der ZAMG: Rechenzentrum der ZAMG
Rechenzentrum der ZAMG
Welche Hardware ist für die Verarbeitung dieser Datenmengen vorhanden und welche Rolle spielt dabei die KI?

Aktuell betreiben wir vier HPC (High Performance Computer) davon zwei auf CPU-Basis, einen auf GPU-Basis und einen Vektor HPC. Zudem noch große Storagesysteme und viele Sicherheitsmaßnahmen drum herum. Viele wissen gar nicht, dass die ZAMG zum Beispiel für die CTBTO (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization - Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen) die Auswertung von illegalen Atomtests vornimmt – das ist eine enorme Herausforderung für unsere Sicherheitssysteme vor Ort.
KI ist der Schlüssel zum nächsten Schritt. Natürlich gehen wir den Weg bereits seit mehreren Jahren. Auch kombinieren wir KI mit unseren klassischen mathematisch-physikalischen Modellen, um das Optimum aus beiden Welten zu holen.

„Machine Learning“ und „Deep Learning“ sind hier wichtige Stichworte. Was bedeutet das genau in Ihrem Kontext? Wie „trainieren“ Sie Ihre KI?

Unser großer Vorteil ist, dass wir seit 1851 durchgehend Klimaaufzeichnungen haben (die ZAMG ist der älteste selbstständige Wetterdienst der Welt). Diese historisch einmalige Datenbasis hilft uns enorm, mittels KI in die Zukunft zu schauen. Doch KI ist nicht nur für Prognosen im Einsatz. Von Bilderkennung bis hin zu Datenqualität wird ML und DL eingesetzt. Das geht von der Analyse von Bildern von Wetterphänomenen bis hin zu Kurzfristprognosen. Dabei wird das physikalische Modell der Umwelt durch die KI-basierten Argumente ergänzt und durch die Vergangenheit in die Zukunft geblickt.

Windmessgerät, im Hintergrund Radarturm: Windmessgerät, im Hintergrund Radarturm
Windmessgerät, im Hintergrund Radarturm
Altes Messgerät für die Feststellung des Sonnenauf- und -untergangs : Altes Messgerät für die Feststellung des Sonnenauf- und -untergangs
Altes Messgerät für die Feststellung des Sonnenauf- und -untergangs
Können Sie in etwa quantifizieren, wie sich der Genauigkeitsgrad der Wetterprognosen durch den Einsatz von KI gesteigert hat?

Klassische mathematische-physikalische Modelle bilden das Abbild der Welt mit rund 80 Prozent sehr gut ab. Die restlichen 20 Prozent modellieren wir tatsächlich mit KI. Dies beschert uns einen strategischen, aber auch einen Markenvorteil für noch präzisere oder besser gesagt noch höher auflösende Vorhersagen, beispielsweise im Stadtklimamodell oder bei Windparks.

Angesichts dieser enormen Maschinen-Arbeit: Welche Rolle spielt denn der Mensch in Ihrem Unternehmen? Das Team der ZAMG besteht immerhin, wie ich gelesen habe, aus rund 400 Personen.
 
Wir haben natürlich die unterschiedlichsten Aufgaben – so ein 24/7-Unternehmen bleibt keine Sekunde stehen. Dabei benötigt es selbstverständlich eine gute Verwaltung, eine schlagkräftige IT, aber auch einen Service, der auf die Kundenbedürfnisse eingeht. Dies ist ein massiver Faktor in unserem täglichen Tun: unsere Services in die Prozesse der Kunden zu integrieren.

Die ZAMG ist ja seit Beginn an auch eine Forschungsstätte. Eine der Anwendungen, zu der sie forschen, ist die intelligente Routenplanung, also die Integration von Wetterdiensten in das Navigationssystem eines Autos. Wie ist hier der Stand der Dinge?

Wir sind hier mit sehr namhaften Unternehmen im Austausch. Ziel ist es, das Kundenempfinden noch zu steigern. „Impact orientation“ nennen wir das. Nicht eine einfache Zahl wird dem Kunden geliefert, sondern der Impact auf seine direkte Umgebung. So bedingen Hagelstürme ein Umrouten, und dies hat Auswirkungen zum Beispiel auf Versicherungen; alles noch in der Forschungsphase, aber durchaus mit Potential.

Ehemaliger Haupteingang der ZAMG: Ehemaliger Haupteingang der ZAMG
Ehemaliger Haupteingang der ZAMG
Was wären noch andere Forschungsgebiete, die Sie bedienen?

Meteorologie und auch die Geophysik oder Klimatologie sind absolute Querschnittsthematiken. Vom Einzelhandel bis hin zu Logistik oder Architektur spielen unsere Daten eine entscheidende Rolle. In Zukunft noch mehr als aktuell. Denn die Daten werden integrativer, interoperabel und die Prozesse mehr und mehr automatisiert.

Letzte Frage: Ist mit dem immer evidenter werdenden Klimawandel auch das Bewusstsein für die Wichtigkeit einer zuverlässigen meteorologischen Prognose gestiegen?

Die „single official voice“ bedeutet den Bürgerinnen und Bürgern enorm viel. Unsere Prognosen und Aussagen sind die Basis von weitreichenden Entscheidungen in der Verwaltung, in Krisenstäben oder bei Einsätzen. Die ZAMG ist eine Marke. Eine Marke, die für Sicherheit steht und dies wollen wir auch sicherstellen. In einer Kombination zwischen Technik, Know-how, Souveränität und Innovation.

Vielen Dank für das Gespräch!

Literaturhinweise:
Günther Tschabuschnig: Daten bleiben Daten. In: Forbes. Nr. 2/2021, S. 38 ff.
Günther Tschabuschnig: Digitalisierung zum Wohl des Klimas. In: ADV Mitteilungen. Nr.1/2020.

Günther Tschabuschnig (ZAMG) ist Informatiker und Informationsmanager. Er wurde mit dem ersten Preis des UN Public Service Awards sowie als Top-CIO des Jahres 2019 ausgezeichnet.

Peter Payer (Technisches Museum Wien) ist Historiker, Stadtforscher und Publizist.