Mi 15. Dezember 2021
Theresa Imre, Gründerin des digitalen Bauernmarkts markta, über die Rolle der österreichischen Landwirtschaft, das Greenwashing der Konzerne und die Inflation der Regionalität.
Frau Imre, wie ist es zur Gründung von markta gekommen?

Ich bin auf dem Land aufgewachsen und hatte von Kindheit an einen großen Bezug zu Lebensmitteln und zum Kochen. 2014/15 habe ich mit einer Freundin den Foodblog „eingebrockt und ausgelöffelt“ gestartet, der sich mit dem Hintergrund unserer Lebensmittel beschäftigt. Im Zuge des Blogs haben uns viele Kleinbäuer_innen kontaktiert, weil sie Unterstützung bei der Direktvermarktung gebraucht haben. In Folge haben wir im März 2018 markta gegründet.

Wie ist derzeit die Rolle der Landwirte?

Sie ist historisch immer mehr in den Hintergrund gerückt – und die Produzent_innen verdienen immer weniger für ihre Lebensmittel und sind oft nur noch Zulieferer. Von einem Kilogramm Äpfel bleiben ihnen rund 40 Cent. Im Supermarkt kosten die Äpfel aber rund 2,80 Euro. Dadurch, dass bei uns drei große Handelskonzerne den Markt bestimmen, sind die Bäuer_innen austauschbar geworden und können mit dem globalen Lebensmittelsystem nicht mithalten. In Österreich müssen deshalb jährlich rund 2.500 Bauernhöfe zusperren.

Theresa Imre, Gründerin von markta: Theresa Imre, Gründerin von markta
Theresa Imre, Gründerin von markta
Was ist die Idee hinter markta?

Bei uns gibt es zu 100 Prozent Produkte von nachhaltigen Kleinbetrieben. Die Bäuer_innen haben ihren eigenen Webshop, in dem sie ihre Produkte anbieten. Mittlerweile sind die Ansprüche der Konsument_innen im Online-Handel gestiegen, denn alle sind von Amazon und Co. kostenlose Lieferung gewohnt – am besten innerhalb von 24 Stunden – und dass alles retournierbar ist. Das Motto ist leider „mehr, schneller und größer“ geworden.

Wie kann man als regionaler Anbieter da mithalten?

Wir möchten intelligente Logistik-Strukturen aufbauen, die Kreislaufsysteme mit Mehrweggebinde und Pfand beinhalten. Bei der Logistik „vom Hof auf den Tisch“ schauen wir uns viele verschiedene Aspekte an. Wir verzichten zum Beispiel auf Styropor und dämmen die Pakete mit Schafwolle. Seit Ende 2019 haben wir auch das erste österreichische Fullfillment-Center für Kleinbauern.

Wie groß ist das Interesse seitens der Landwirte beim Bauernmarkt 4.0 dabei zu sein?

Sehr groß und wir bekommen enorm viele Anfragen. Das geschieht aber auch aus einer Not heraus. Denn wenn sie es sich mit einem der großen Handelskonzerne verscherzen, werden sie kurzerhand aus dem Sortiment ausgelistet.

Was sind die größten Herausforderungen, wenn man sich als Startup im Lebensmittelsektor positioniert?

Das Greenwashing der großen Konzerne. Die Begriffe „nachhaltig“ und „vom Bauernhof“ werden mittlerweile von jedem verwendet. Dadurch ist es komplexer geworden, den Kund_innen zu vermitteln, dass wir direkt und ohne Zwischenhändler mit den Betrieben arbeiten. Bei uns verdienen die Bäuer_innen zwischen drei- und fünfmal so viel, wie wenn sie an den Handel liefern. So können wir auch soziale Standards sicherstellen. Etwa, indem die Landwirte nicht darauf angewiesen sind, billige Erntehelfer_innen anzustellen.

Markus und Thomas Taubenschuss produzieren im Weinviertel Bio-Weine. Ihr Weingut besteht seit 1670: Markus und Thomas Taubenschuss produzieren im Weinviertel Bio-Weine. Ihr Weingut besteht seit 1670
Markus und Thomas Taubenschuss produzieren im Weinviertel Bio-Weine. Ihr Weingut besteht seit 1670
Sind Nachhaltigkeit und Regionalität inflationäre Begriffe geworden?

Ja. Sie bedeuten nichts mehr, denn sie sind nicht geschützt. Dadurch haben sie ihre Wertigkeit verloren. Nach meinem Verständnis müsste reguliert werden, was auf Produkte geschrieben werden darf. Man darf zum Beispiel nicht auf ein Lebensmittel schreiben, dass es gesund ist, weil es die Kund_innen täuschen würde. Das Gleiche müssten wir auf der Regionalitäts- und Nachhaltigkeitsebene machen. Das ist etwas, was wir Konsument_innen einfordern müssten, nämlich, dass da von politischer Seite etwas getan wird.

Mittlerweile gibt es im Lebensmittelbereich zahlreiche Online-Marktplätze. Was ist wichtig, damit die Konzepte nachhaltig erfolgreich sind?

Man braucht einen langen Atem. Wir haben nicht das klassische Start-up-Modell, bei dem man mit einem neuen Produkt auf den Markt geht und dieses dann sehr lukrativ ist, weil große Margen drin sind. Wir merken, dass die Kund_innen, wenn sie zwei- oder dreimal bestellt haben, Vertrauen aufbauen und uns das Feedback geben, dass die angebotenen Produkte eine andere Qualität haben.

Was unterscheidet die Lebensmittel denn von denen, die ich im klassischen Supermarkt kaufe?

Die Zeitspanne, innerhalb der die Produkte bei den Konsument_innen landen. Eine österreichische Marille, die man im Supermarkt kauft, wurde meistens vier bis fünf Tage zuvor unreif geerntet. Das geschieht, weil sie über ein Großlager in den Handel kommt und dort dann nicht zerdrückt ankommen darf. Bei uns werden die Marillen nach der Bestellung in der Früh gepflückt, am Vormittag zusammengepackt und sind ab 15 Uhr bei den Kund_innen. Das ist ein Unterschied, den man schmeckt.

Das Team von markta möchte die Rolle österreichischer Landwirte gegenüber den großen Handelskonzernen stärken: Das Team von markta möchte die Rolle österreichischer Landwirte gegenüber den großen Handelskonzernen stärken
Das Team von markta möchte die Rolle österreichischer Landwirte gegenüber den großen Handelskonzernen stärken
Was sind zukünftige Pläne bei markta?

Wir möchten nicht nur das klassische Online-Start-up sein, bei dem es darum geht, immer mehr Bestellungen zu haben. Deshalb möchten wir sinnvoll wachsen und mehr in die Breite gehen – und etwa in Wien verschiedene stationäre Abholpunkte haben. Und wir sind am Überlegen, ob wir uns eine Markthalle zutrauen. Außerdem möchten wir künftig mehr mit lokalen Firmenpartnern zusammenarbeiten. Denn immer mehr Unternehmen möchten ihren Mitarbeiter_innen und Kund_innen gegenüber nachhaltig agieren – und, wenn sie Lebensmittel oder Geschenkkörbe benötigen, können sie das über uns mit Kleinbäuer_innen beziehen. Dadurch kann man für die Landwirte auch mehr Planbarkeit schaffen.

Wo stoßen virtuelle Bauernmärkte an ihre Grenzen?

Das extrem rasche Liefern von Lebensmittel, wie es bereits angeboten wird, also innerhalb von nicht einmal einer Stunde, ist ein Problem. Dafür muss man nämlich alles ständig verfügbar haben und ein hohes Warenrisiko eingehen. Denn alles, was nicht bestellt wird, wird weggeworfen. Wir haben nahezu null Lebensmittelabfälle, weil nur das geliefert wird, was bestellt wurde. Derzeit haben wir 48 Stunden Lieferzeit ab Bestellung, zukünftig schaffen wir es vielleicht in 24 Stunden. Was wir aber nicht wollen, ist auf Abruf ständig alles verfügbar zu haben – denn das geht nur mit Verlust auf Seiten der Lebensmittel.

Vielen Dank für das Gespräch.

Sandra Wobrazek ist Autorin und freie Redakteurin.