Mi 10. August 2022
Nicht nur Mode-, Parfüm- und Elektronikhersteller haben mit Plagiaten zu kämpfen – auch besonders begehrte Lebensmittel werden mitunter gefälscht. Verschiedene Gütesiegel sollen regionale Spezialitäten wie Wachauer Marillen oder Steirische Käferbohnen schützen.
Anfang bis Mitte Juli ist es alljährlich so weit: Die Wachauer Marillen werden geerntet und drei bis vier Wochen lang verkauft. Meist werden die orangenen Köstlichkeiten aus der Wachau am Straßenrand oder direkt bei den Bäuerinnen und Bauern in den 22 Anbaugemeinden zum Kauf angeboten. Doch in der Vergangenheit waren es nicht immer nur Marillen aus der Region entlang der Donau, die feilgeboten wurden ...

Franz Reisinger, Obmann des Vereins „Wachauer Marille“, ist eines von rund 210 Mitgliedern, die mit Marillen zumindest teilweise ihren Lebensunterhalt bestreiten. Er baut auf zehn Hektar Marillen an und besitzt 200 Bäume. Bereits seit 1996 werden die Wachauer Spezialitäten, bei denen es sich um hocharomatische, intensiv duftende und pektinreiche Sorten handelt, die ein besonders saftiges Fruchtfleisch haben, mit dem Siegel „geschützte Ursprungsbezeichnung“ (g. U.) ausgezeichnet. „Wenn wir das Siegel nicht mehr hätten“, sagt Franz Reisinger, „würde es, überspitzt gesagt, morgen in jedem Supermarkt in Österreich und bei jedem Obstverkaufsstand sofort vermeintliche Wachauer Marillen geben. Denn unser guter Ruf führt dazu, dass es viele Nachahmer mit Sortenbezeichnung wie ,Mariandl‘, ,Donauprinzessin‘ oder ,Richard Löwenherz‘ gibt. Die Konsument_innen assoziieren damit fälschlicherweise, dass es sich um Wachauer Marillen handelt.“

 
Das „g. U.“-Siegel ist die höchste Auszeichnung für regionale Lebensmittel: Das „g. U.“-Siegel ist die höchste Auszeichnung für regionale Lebensmittel
Das „g. U.“-Siegel ist die höchste Auszeichnung für regionale Lebensmittel
Seit 1996 ist die Wachauer Marille mit einem Gütesiegel geschützt: Seit 1996 ist die Wachauer Marille mit einem Gütesiegel geschützt
Seit 1996 ist die Wachauer Marille mit einem Gütesiegel geschützt
Regionalität und Tradition
Um dies zu verhindern, kontrolliert die Lebensmittelbehörde die Früchte regelmäßig und schreitet ein, wenn das Gütesiegel missbräuchlich verwendet wird. Denn die Wachauer Marille ist für die Region und den Tourismus sehr wichtig, sagt der Obmann, „da die Tage der Marillenblüte zu den besucherstärksten des Jahres zählen. Die Menschen kommen, um die Marillenbäume in Blüte zu sehen, gehen etwas essen, kaufen Wein und übernachten hier vielleicht auch. Um dann im Sommer Marillen zu kaufen, kommen Menschen aus ganz Österreich, teils sogar aus Bayern zu uns.“
Seit dem Jahr 1992 schützt die EU bestimmte Lebensmittel vor widerrechtlicher Nachahmung. Die höchste Stufe: die „geschützte Ursprungsbezeichnung“ (g. U.), die auch die Wachauer Marille trägt. Sie wird für Produkte vergeben, die in einer bestimmten geografischen Region erzeugt, verarbeitet und hergestellt werden sowie über traditionelle Eigenschaften und Bedeutung verfügen. Neben den Wachauer Marillen gibt es noch zehn weitere Lebensmittel aus Österreich, die das Siegel verliehen tragen – vom Tiroler Graukäse über die Pöllauer Hirschbirne bis zum Waldviertler Graumohn. 

 
Von Kürbiskernöl bis Tiroler Speck – 18 österreichische Lebensmittel tragen die Gütesiegel der EU : Von Kürbiskernöl bis Tiroler Speck – 18 österreichische Lebensmittel tragen die Gütesiegel der EU
Von Kürbiskernöl bis Tiroler Speck – 18 österreichische Lebensmittel tragen die Gütesiegel der EU
Traditionelle Spezialitäten
Ein weiteres Siegel ist jenes der „geschützten geografischen Angabe“ (g. g. A.). Es ist der „geschützten Ursprungsbezeichnung“ ähnlich, wobei bei „g. g. A.“ nur mindestens eine der Produktionsstufen (Erzeugung, Verarbeitung oder Herstellung) in der Region erfolgen muss. „In Österreich ist es aber so“, sagt Andreas Cretnik, Obmann des Servicevereins geschützte Herkunftsbezeichnungen für Lebensmittel (SVGH) aus Graz, „dass meistens alles in Österreich stattfindet. Im Fall des Steirischen Kürbiskernöls zum Beispiel stammt die Rohware aus der Steiermark, Niederösterreich und dem Burgenland. Sie wird zu 99,9 Prozent in der Steiermark verpresst und es ist eine traditionelle Machart aus der Steiermark.“ Weitere Lebensmittel, die das blau-gelbe „g. g. A.“-Siegel tragen, sind Tiroler Speck, steirischer Kren, Marchfeldspargel und Gailtaler Speck.
 
Die „garantiert traditionelle Spezialität“ (g. t. S.) wiederum wird an Lebensmittel vergeben, die einen traditionellen Charakter haben. Sie müssen seit mindestens 30 Jahren auf dem Markt etabliert sein und über besondere Eigenschaften verfügen, die andere ähnliche Lebensmittel nicht haben. In Österreich sind dies Heumilch, Ziegen-Heumilch und Schaf-Heumilch. 

 

Siegel für ...: Siegel für ...
Siegel für ...
...  „traditionelle Spezialitäten“: ...  „traditionelle Spezialitäten“
... „traditionelle Spezialitäten“
Bekanntheit steigern
Die Bekanntheit der Siegel ist unterschiedlich groß, sagt Andreas Cretnik: „Wenn Konsument_innen sie erklärt bekommen, werden sie auch beim Einkauf darauf achten. Die Siegel für Steirisches Kürbiskernöl und Heumilch zum Beispiel sind in der Öffentlichkeit bereits sehr bekannt. Aber gerade die kleineren Spezialitäten, wo es nicht so viel Budget für Marketing gibt, haben damit ein Problem.“ Der SVGH versucht deshalb, unter anderem mit einer digitalen Kampagne sowie Auftritten bei Messen, die Siegel bekannter zu machen. 
Eines der Produkte, das es bereits zu kulinarischem Ruhm gebracht hat, ist die Steirische Käferbohne. Die schwarz-violetten oder beige-braunen Bohnen gedeihen besonders im südoststeirischen Hügelland und sind für ihren zart-nussigen Geschmack bekannt, der an Edelkastanien erinnert. Doch nicht nur rund 200 steirische Produzentinnen und Produzenten erzeugen die Hülsenfrüchte, auch China ist eines der Anbaugebiete. Die dort gezogenen Bohnen wurden deshalb in der Vergangenheit mitunter nach Europa importiert und hier zu einem deutlich geringeren Preis als „Steirische Käferbohnen“ angeboten. Ulrike Schilder, Geschäftsführung Plattform zum Schutz der Steirischen Käferbohne, bestätigt, dass das Siegel „g. g. U.“ für die Produzierenden große Bedeutung hat, verhindert es doch die missbräuchliche Verwendung. „Seit 2016 gibt es den Herkunftsschutz für die Steirische Käferbohne – und seither hat sich einiges verbessert. Dennoch gibt es immer wieder Fälle, in denen unsere geschützte Bezeichnung verwendet wird. Dazu werden Fähnchen oder irreführende Attribute auf die Verpackungen gedruckt, die den Eindruck machen, dass es sich um Steirische Käferbohnen handelt.“

 
Mit dem „g. U.“-Siegel dürfen sich nur echte Steirische Käferbohnen schmücken: Mit dem „g. U.“-Siegel dürfen sich nur echte Steirische Käferbohnen schmücken
Mit dem „g. U.“-Siegel dürfen sich nur echte Steirische Käferbohnen schmücken
Gütesiegel-Dschungel
Ulrike Schilder sagt, dass es in Österreich im Lebensmittelbereich eine Vielzahl an verschiedensten Zeichen und Marken gibt, wobei die wenigsten staatlich anerkannte Gütesiegel sind. „Und wenn man sich nicht intensiv mit der Thematik befasst, ist es fast unmöglich als Konsument_in, das richtig einzuordnen und den Überblick zu behalten.“ Das betont auch Birgit Beck, Projektleitung Ernährung beim Verein für Konsumenteninformation (VKI). „Jedes steht für etwas anderes und als Konsument_in muss ich mich schon sehr genau auskennen, um sie alle zu unterscheiden. Welche Gütesiegel relevant sind, hängt immer auch davon ab, was ich als Konsument_in möchte. Wenn mir österreichische Herkunft wichtig ist, ist es das AMA-Gütesiegel. Bei Bio-Produkten ist es das EU-Bio-Logo, das AMA-Biosiegel, das Demeter-Siegel oder das von Bio-Austria. Auch für den Tierschutz gibt es wieder andere Siegel. Für uns entscheidend ist, dass Gütesiegel immer extern überprüft und von einer unabhängigen Prüfstelle kontrolliert werden.“
Dabei werden die selbsternannten „Siegel-Verleiher“ mitunter auch kreativ: Obacht geboten ist, so die VKI-Expertin, bei Logos, die suggerieren, dass das jeweilige Produkt von „irgendeinem Labor“ überprüft wurde. Dies ist dann meist etwas Selbstverliehenes und sagt nichts aus; ebenso wie die Bezeichnung „nachhaltiger Anbau“. Der Ratschlag von Birgit Beck: „Je komplexer ein Produkt zusammengesetzt und je weiter es gereist ist, desto schwieriger wird die Überprüfbarkeit. Je mehr ich selbst koche und je mehr unverarbeitete Lebensmittel ich verwende, desto geringer ist die Gefahr einer Täuschung – und desto gesünder lebe ich auch.“

 
Die Steirische Käferbohne ist so gefragt, dass es „Plagiate“ aus China gibt: Die Steirische Käferbohne ist so gefragt, dass es „Plagiate“ aus China gibt
Die Steirische Käferbohne ist so gefragt, dass es „Plagiate“ aus China gibt
Sandra Wobrazek ist Autorin und freie Redakteurin.