Do 15. Dezember 2022
Die Natur birgt die effizientesten und nachhaltigsten Lösungen für die menschliche Architektur. In der Ausstellung „BioInspiration“ finden sich vorausschauende Beispiele.
Im 21. Jahrhundert mögen die Weltenbürger_innen der hochentwickelten Industriestaaten in der Illusion leben, von der Natur isoliert zu sein. Jede Mücke, jede Motte, jeder Weberknecht wird aus den menschlichen Räumlichkeiten entfernt, Pflanzen werden in Töpfe verbannt, Fliegengitter montiert, Giftfallen aufgestellt. Wir erobern unsere Räume immer wieder von Neuem zurück von „dem da draußen“.
 
Dabei können wir heute gar nicht mehr getrennt von der Natur leben. Ob Klettverschluss, Salzstreuer oder Stahlbeton: Zahlreiche Erfindungen sind inspiriert von der Natur, ihre Muster und Prinzipien in den Alltagsgegenständen um uns herum inkarniert. Im Begriff der Bionik wird das Vorgehen zusammengefasst, dass Menschen die Natur untersuchen und sich ihre Mechanismen technologisch zunutze machen. Das Technische Museum Wien widmet der aufblühenden Forschungsrichtung aktuell die Ausstellung „BioInspiration“.
 
Für die Sujets der Ausstellung „BioInspiration“ ließ eine Künstliche Intelligenz Lebewesen mit der Technologie verschmelzen.: Für die Sujets der Ausstellung „BioInspiration“ ließ eine Künstliche Intelligenz Lebewesen mit der Technologie verschmelzen
Für die Sujets der Ausstellung „BioInspiration“ ließ eine Künstliche Intelligenz Lebewesen mit der Technologie verschmelzen
Ein Bereich, in dem bionische Einflüsse schon immer eine Rolle gespielt haben, ist die Architektur, weshalb sich in der Ausstellung auch ein Schwerpunkt dazu findet. Dabei war es schon eine bionische Erfindung, die unsere heutige Art zu bauen überhaupt möglich machte. Der Pariser Joseph Monier grämte sich darüber, dass Pflanzentöpfe so kostspielig und brüchig waren. Aus der Beobachtung eines Opuntienblatts und dessen vernetzter Sklerenchym-Struktur entstand seine Idee, Pflanzentöpfe in Mehrkomponentenbauweise herzustellen. Ein Drahtkorb im Inneren sorgt für Stabilität und hält die umgebende Zementmasse zusammen. Damit geht die Erfindung des Stahlbetons auf die Funktionsweise eines Kakteengewächses zurück.
 
Bionische Architektur ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, nicht jedes Gebäude, das biologisch anmutet, ist tatsächlich ein bionischer Bau. Auch in der Architekturbionik gilt, dass die reine Formnachahmung (biomorphes Bauen) noch nicht Bionik ist, die Funktion spielt eine wesentliche Rolle. Auf der Suche nach bionischen Einflüssen in der Architektur gelangt man bald zur Weltausstellung 1851, für die der englische Architekt Joseph Paxton den „Crystal Palace“ entwarf. Als Inspiration und Vorbild diente ihm das Tragesystem der Riesenseerose Victoria amazonica, das der Pflanze den geringsten Materialeinsatz bei einem größtmöglichen Maß an Stabilität gewährleistet.
 
Einen besonderen Fokus auf Natureinflüsse in seinen Bauten legte der spanische Architekt Antoni Gaudí, der zum Beispiel gezielt auf eine bioklimatische Gestaltung seiner Konstruktionen achtete. Gaudí empfand Bauelemente geometrischen Formen der Natur nach, zum Beispiel in Form von muschelähnlichen Schalen oder spiralförmigen Gängen und Stützen. Er verwendete naturnahe Materialien wie Ziegelsteine, Lehm oder Keramik. Gaudí prophezeite, dass „der Architekt der Zukunft sich auf die Nachahmung der Natur stützen wird, weil sie die rationellste, dauerhafteste und wirtschaftlichste aller Methoden ist“.
 
Auch im Güell-Park in Barcelona kann man Antoni Gaudís Faible für eine an die Natur angelehnte Optik erkennen.: Auch im Güell-Park in Barcelona kann man Antoni Gaudís Faible für eine an die Natur angelehnte Optik erkennen
Auch im Güell-Park in Barcelona kann man Antoni Gaudís Faible für eine an die Natur angelehnte Optik erkennen
Ein Blick auf die heutigen Größen der biomimetischen Architektur lassen den Schluss zu, dass Gaudí recht hatte. Der in Harare (Simbabwe) geborene Architekt Mick Pearce ließ sich zum Beispiel von geschickten Baumeistern der Insektenwelt inspirieren: den Termiten. Sie verwenden für den Bau ihrer Termitenhügel den eigenen Speichel, den sie mit Erde vermischen. Termitenhügel werden dabei in spezieller Ausrichtung zur Sonne platziert und haben ein ausgeklügeltes Belüftungssystem, das auf natürlicher Luftzirkulation basiert, wodurch die Temperatur der Kolonie stabil aufrechterhalten werden kann. In Harare hat Mick Pearce daran angelehnt ein Gebäude – das „Eastgate Center“ – entwickelt, dessen Innenräume durchwegs kühl bleiben, ohne dass mit einer Klimaanlage nachgeholfen werden muss.

Bionische Architektur: Termitenhügel
© Shutterstock

 
Ein Vorreiter im biomimetischen Bauen ist auch der britische Architekt und Landschaftsgestalter Michael Pawlyn. Als Jugendlicher schwankte er zwischen den Optionen, Architektur oder Biologie zu studieren. Pawlyn entschied sich für Ersteres, erkannte aber, dass er beide Disziplinen in Form einer nachhaltigen, von Prozessen der Natur inspirierten Architektur vereinen könnte. Pawlyn entwickelte sich zum Pionier des ökologischen Bauens. Er war bei der Gestaltung von „The Eden Project“ in Cornwall beteiligt und entwickelte das „Sahara Forest Project“ mit, das nachhaltige Wasser- und Lebensmittelversorgung in trockenen Regionen ermöglicht.
 
Einige von Pawlyns Projekten finden sich auch in der Ausstellung „BioInspiration“. Beim „Biomimetic Office“ handelt es sich zum Beispiel um ein nachhaltiges Bürogebäude mit biomimetischem Ansatz, das Eigenschaften aus über 100 Organismen vereint. Pawlyn und sein Team versuchten dabei, „das Negative zu minimieren“, vor allem in Bezug auf den Ressourcen- und Energieverbrauch, indem eine typische Arbeitsstätte in ein sich selbst beheizendes, selbst kühlendes, selbst belüftendes und selbst beleuchtendes Gebäude verwandelt wurde, das ein Nettoenergieproduzent ist.
 
Auch das Architekturbüro Tonkin Liu tut sich mit innovativen Projekten beim bionischen Bauen hervor. In Zusammenarbeit mit dem Natural History Museum in London hat es eine Technik entwickelt, dünne und doch stabile Strukturen herzustellen, die von Muschelschalen inspiriert sind. Und der von Tonkin Liu entworfene „Paddington Willow Pavilion“ soll lichttechnisch das Schattenspiel eines Blätterwaldes nachahmen.
 
Der Pavillon von Tonkin Liu basiert auf biomimetischen Prinzipien, die das Architekturbüro durch jahrelange Forschung in Zusammenarbeit mit dem Londoner Kollektiv Arup entwickelte: Der Pavillon von Tonkin Liu basiert auf biomimetischen Prinzipien, die das Architekturbüro durch jahrelange Forschung in Zusammenarbeit mit dem Londoner Kollektiv Arup entwickelte
Der Pavillon von Tonkin Liu basiert auf biomimetischen Prinzipien, die das Architekturbüro durch jahrelange Forschung in Zusammenarbeit mit dem Londoner Kollektiv Arup entwickelte
Mit der Weiterentwicklung der Technologie und der industriellen Fertigung erlebt die Bionik heute erst ihre wahre Blüte. Innovative Materialzusammensetzungen, 3-D-Druck und tiefgreifende technische Innovationen ermöglichen es, die Natur bis ins kleinste Detail zu verstehen und sie setzen Umsetzung dieser Erkenntnisse in Form der Bionik keine Grenzen mehr. Viele weitere Projekte zeigen zukunftsweisend auf, in welche Richtung sich Architektur und Baumethoden in einem ökologischen Sinn entwickeln werden oder sogar müssen. Ob bionische Bürogebäude, Wohnhäuser oder Baumaterialien: Die Ausstellung „BioInspiration“ gibt einen ersten Eindruck davon, wohin diese Reise geht.
 
Literaturtipps:
  • Michael Pawlyn: Biomimicry in Architecture, RIBA Publications, London, 2011.
  • Göran Pohl, Werner Nachtigall: Bau-Bionik, Springer Verlag, Berlin, 2013.
Sarah Kleiner ist freie Journalistin in Wien.