Di 14. Februar 2023
Ob haftend wie eine Klette oder hart wie eine Nuss: Welchen Nutzen haben verzahnte Strukturen in der Natur und welche Inspirationen können wir durch diese erhalten?
In der kalten Jahreszeit holen wir unsere Winterjacken aus dem Schrank. Nur noch die Jacke mit dem Reißverschluss zumachen und es wird schön warm. Das Spannende am Reißverschluss ist die Möglichkeit, die Jacke mithilfe von kleinen ineinandergreifenden Zähnen immer wieder zu schließen und zu öffnen, ganz ohne Kleber und Schere. Was für uns selbstverständlich ist, ist für die Natur weniger leicht herzustellen. Trotzdem hat diese einige beeindruckende Beispiele hervorgebracht, die dieses Prinzip des Ineinandergreifens bzw. Verzahnens nutzen. 

Es können im Groben zwei Kategorien von Verzahnungen unterschieden werden: regulierbare und statische Verzahnungen. Bei der regulierbaren Verzahnung kann die Verbindung entweder rückgängig oder je nach Anwendung angepasst werden, wie zum Beispiel der erwähnte Reißverschluss. In die gleiche Kategorie fällt der Klettverschluss, welcher das bekannteste Beispiel für regulierbare Verzahnung und das Paradebeispiel in der Bionik ist. Inspiriert von den Großen Kletten (Arctium lappa), die am Fell seines Hundes nicht wegzubekommen waren, entwickelte der Schweizer Ingenieur Georges de Mestral den heutigen Klettverschluss. Er entdeckte mithilfe des Mikroskops, dass die vermeintlichen Stacheln der Klette flexible Widerhaken besitzen, die sich im Fell des Hundes verhaken. Von der Idee des Klettverschlusses bis zum serienreifen Produkt im Jahre 1951 dauerte es ca. zehn Jahre.

 
Links: Kletten verhaken sich stark an wolligen Kleidungsstücken oder im Fell von Tieren. Rechts: Stark vergrößert sind die vielen Haken der Klette sichtbar: Links: Kletten verhaken sich stark an wolligen Kleidungsstücken oder im Fell von Tieren. Rechts: Stark vergrößert sind die vielen Haken der Klette sichtbar
Links: Kletten verhaken sich stark an wolligen Kleidungsstücken oder im Fell von Tieren. Rechts: Stark vergrößert sind die vielen Haken der Klette sichtbar
Ein weiteres Beispiel für regulierbare Verzahnung findet sich auf den Federn diverser Vögel. Besonders bei kälteangepassten Arten wie dem Alpenschneehuhn (Lagopus muta) ist ein geschlossenes Federkleid sehr wichtig, damit der Vogel selbst Temperaturen unter -40 °C aushalten kann. Wenn man sich die Feder stark vergrößert anschaut, sieht man, dass die einzelnen Fähnchen mit Widerhaken versehen sind, die in die Fähnchen der darunterliegenden Reihen greifen. Dadurch bleiben die Federn trotz der Bewegung des Vogels immer geschlossen. Darüber hinaus ist durch die versetzte Anordnung das Federkleid wasserdicht, und selbst nach der Pflege des Gefieders oder nach Verlust einzelner Federn schließt sich das Federkleid, wodurch die gespeicherte Wärme nicht verloren geht.


Die Federn des Alpenschneehuhns bleiben trotz ständiger Bewegung geschlossen, da die einzelnen Fähnchen mit Widerhaken zusammengehalten werden (weiße Box): Die Federn des Alpenschneehuhns bleiben trotz ständiger Bewegung geschlossen, da die einzelnen Fähnchen mit Widerhaken zusammengehalten werden (weiße Box)
Die Federn des Alpenschneehuhns bleiben trotz ständiger Bewegung geschlossen, da die einzelnen Fähnchen mit Widerhaken zusammengehalten werden (weiße Box)
Im Gegensatz zur regulierbaren Verzahnung greifen bei der statischen Verzahnung zwei Strukturen ineinander, um die Verbindung zwischen beiden permanent zu verstärken. Durch diese meist topologische (räumlich-strukturierte) Verzahnung verbinden sich die zwei Strukturen in engem Kontakt, wobei die Kontaktfläche meist durch die Ausbuchtungen stark vergrößert wird – vergleichbar mit zwei Puzzlestücken, die perfekt ineinanderpassen. Solche Strukturen finden sich sowohl im Tier- als auch im Pflanzenreich. Eine kürzlich beschriebene Struktur ist in den Deckflügeln des Eisenplattenkäfers (Phloeodes diabolicum) gefunden worden. Hier sind die beiden Deckflügel entlang des Rückens verzahnt, was zu einer besseren Druckverteilung unter Belastung führt. Zusammen mit anderen Eigenschaften erreicht der Panzer des Käfers eine derartig große Widerstandsfähigkeit, dass er selbst das Gewicht eines Autos schadlos übersteht. Auch im Schutzpanzer der Schildkröten sind die einzelnen Knochenplatten über eine Verzahnung versehen und greifen perfekt in die Nachbarplatten. Dabei können die Platten beim Fortbewegen noch mobil sein, aber sie versteifen, wenn hoher Druck auf den Panzer ausgeübt wird, wie zum Beispiel bei einem Raubtierangriff.


Eisenplattenkäfer und der Querschnitt durch den Panzer am Hinterleib. In der Vergrößerung ist die Verzahnung der beiden Deckflügel erkennbar: Eisenplattenkäfer und der Querschnitt durch den Panzer am Hinterleib. In der Vergrößerung ist die Verzahnung der beiden Deckflügel erkennbar
Eisenplattenkäfer und der Querschnitt durch den Panzer am Hinterleib. In der Vergrößerung ist die Verzahnung der beiden Deckflügel erkennbar
Im Pflanzenreich finden sich Verzahnungen oft auf Zellniveau und besonders auf Blattoberflächen. Die äußersten Zellen (Epidermis) vieler Arten weisen eine puzzleartige Verzahnung auf. Der Vorteil dieser Verzahnung liegt in der erhöhten Zugfestigkeit, wodurch das Blatt nicht seine Form verliert oder die Epidermis aufreißt. Dasselbe Prinzip findet sich auch in der Schale von Samen, wie z. B. der Portulak (Portulaca oleracea), wodurch diese steifer und stärker ist und der Samen besser gegen Nagetiere geschützt ist. Besonders in Nussschalen lassen sich topologische Verzahnungen finden. Hier erweitert sich sogar die Dimension der Verzahnung von 2D auf 3D und erstreckt sich über mehrere Zellschichten. So sind viele Nussschalen wie ein mikroskopisch kleines 3D-Puzzle aufgebaut. Besonders in den Schalen der Walnuss (Juglans regia) und Pistazie (Pistacia vera) lassen sich solche Zellen finden, was zum Teil die außerordentliche Festigkeit der Schalen bei diesen Nüssen erklärt. 


Die Walnuss besitzt Zellen, die wie ein 3D-Puzzle ineinandergreifen (3D-Rekonstruktion), was die Nussschale besonders druckresistent macht: Die Walnuss besitzt Zellen, die wie ein 3D-Puzzle ineinandergreifen (3D-Rekonstruktion), was die Nussschale besonders druckresistent macht
Die Walnuss besitzt Zellen, die wie ein 3D-Puzzle ineinandergreifen (3D-Rekonstruktion), was die Nussschale besonders druckresistent macht
Die Natur liefert unzählige Beispiele für den Vorteil sich verzahnender bzw. ineinandergreifender Strukturen. Doch was kann der Mensch aus diesen Vorbildern lernen? Wie kann er dieses Konzept technisch nutzen?

Wie bereits erwähnt, ist der Klettverschluss ein Beispiel, das nicht mehr wegzudenken ist. Inspiriert von Libellen besitzen heutige Weiterentwicklungen statt des Hakens einen pilzartigen Kopf, was zu längerer Haltbarkeit, reduziertem Lärm beim Öffnen und trotzdem zu erhöhtem Kraftschluss führt.

Das Prinzip der verzahnten Federn könnte bei der Entwicklung intelligenter Gebäudehüllen genutzt werden. So könnte die Wärme auch bei beweglichen Fassadenteilen, wie zum Beispiel bei Membranen, im Gebäude gespeichert werden. Umgekehrt könnte sich die Fassade bei Überhitzung im Sommer öffnen und die gestaute Hitze entweichen lassen - analog zum Aufplustern beim Vogel. Sollte dann Regen einsetzen, schließt sich die Gebäudehülle wieder, damit kein Wasser eindringen kann.

Die topologische Verzahnung bei den Tieren könnte als Vorbild für flexible Protektoren im Straßenverkehr dienen – etwa Schutzkleidung, mit der man sich bewegen kann und die erst bei großen Kräften versteift, wie zum Beispiel bei einem Aufprall mit einem Auto. 

Die Beispiele aus dem Pflanzenreich können als Vorbilder für Keramiken oder Fließen genutzt werden, die ohne Klebstoff bzw. Fugenmaterial auskommen, da sie nur über die Verzahnungen zusammenhalten. Solche Strukturen sind flexibler und trotzdem toleranter gegenüber großflächigen Brüchen, da sie selbst nach einem lokalen Bruch immer noch Zug- bzw. Druckkräfte aushalten. Darüber hinaus müssen meist nur einzelne Elemente ausgetauscht werden, was Kosten und Ressourcen bei der Reparatur einspart.
 
Die Natur bietet viele intelligente Lösungen für Probleme, die den unsrigen ähnlich sind, und oft ist es daher von Vorteil, sich von dergleichen inspirieren zu lassen. So ist der anfangs erwähnte Reißverschluss kein bionisches Konzept und brauchte von der Idee des Ingenieurs Elias Howe (1851) bis zur Marktreife durch Gideon Sundbäck (1912) um die 60 Jahre. Vielleicht hätten sich die Erfinder in der Natur umsehen sollen, dann wäre es womöglich auch schneller gegangen.
 
Weiterführende Informationen:
https://asknature.org/ - Übersicht über biologische Strategien und daraus resultierende Innovationen (Engl.)
https://www.servustv.com/wissen/v/aa-25krxw53d2112/ - Video über den Eisenplattenkäfer
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31453070/ - Artikel über die Zellen der Walnuss (Engl.)
 
Sebastian J. Antreich ist Biologe an der Universität für Bodenkultur in Wien. Die letzten fünf Jahre forschte er an den Schalen diverser Nüsse, um das Geheimnis ihrer Härte zu ergründen. Davor besuchte er den Master-Lehrgang „Bionik in Energiesystemen“ der FH Kärnten, wo er sich mit den Federn des Alpenschneehuhns auseinandersetzte.