Di 28. März 2023
Mit Rekordtemperaturen bis zu 60 °C zählen Wüsten zu den lebensfeindlichsten Orten der Welt. Gerade dann, wenn alle dort lebenden Tiere die Flucht vor der Hitze ergreifen, kommen die Silberameisen zum Vorschein und beginnen mit ihrer Arbeit.
In den Wüsten unserer Welt ist eine Vielzahl unterschiedlicher Tiere beheimatet. Um die hohen Temperaturen zu ertragen, wenden diese verschiedenste Strategien an. Was dabei fast alle eint: Während der größten Mittagshitze suchen sie sich einen schattigen Platz und warten dort ab, bis wieder erträglichere Temperaturen herrschen. Eine Ausnahme bildet die Silberameise, eine besonders hitzeresistente Ameisenart in der Sahara. Diese Wüstenameise verbringt einen Großteil des Tages in ihrem Nest. Doch genau dann, wenn der Sand Temperaturen über 50 °C erreicht und sich sogar die härtesten Fressfeinde in deren Verstecke zurückziehen, schwärmen die Silberameisen plötzlich zu Hunderten aus. Mit ihren äußerst langen Beinen bewegen sie sich in einer Geschwindigkeit von mehr als 85 Zentimetern pro Sekunde fort und gelten somit als die schnellsten ihrer Art. Relativ zu ihrer Körpergröße gehören sie sogar zu den schnellsten Lebewesen der Welt. Diese besondere Geschwindigkeit ist dabei essenziell: Die Ameisen haben ein Zeitfenster von etwa zehn Minuten, um nach toten Insekten zu suchen, die der Hitze zum Opfer gefallen sind. Während der Suche müssen die Silberameisen regelmäßig Pausen auf höheren Steinen oder Pflanzen machen, um dem aufgeheizten Sand zu entgehen. Haben sie dann eine Beute gefunden, transportieren sie diese schnellstmöglich gemeinsam zum Nest. In manchen Fällen werden dafür zunächst störende Teile wie etwa Flügel abgetrennt, um die Beute transportfähiger zu machen. Aufgrund der sich ständig verändernden Umgebung können sich Silberameisen im Gegensatz zu fast allen anderen Ameisen bei der Futtersuche nicht auf Duftspuren als Orientierungshilfe verlassen. Diese würden mit dem Sand in nur wenigen Sekunden wieder verweht werden. Stattdessen orientieren sie sich anhand des Sonnenstands, an Landmarken und dem Zählen ihrer Schritte. Ersteren erkennen sie sogar dann sehr genau, wenn die Sonne außerhalb ihres Blickfeldes liegt, denn wie auch viele andere Tiere nehmen die Silberameisen die Polarisation des Lichts, d. h. die Schwingungsrichtung der Lichtwellen, wahr. Anhand des Polarisationsmusters des Himmels können sie so auf den Sonnenstand schließen und jederzeit in einer geraden Linie zurück zum Nesteingang finden. 
 
Dieses Finden von Orientierung anhand von Polarisationsmustern hat auch bereits uns Menschen zu einer Alternative für die weitverbreiteten GPS-Systeme inspiriert und findet dort technische Anwendung. Doch wie ist es überhaupt möglich, dass diese Wüstenameisen zu einer Tageszeit auf Nahrungssuche gehen, bei der alle anderen Tiere in kürzester Zeit an einem Hitzeschock verenden würden? 

 
Silberameisen am Eingang ihres Nestes: Silberameisen am Eingang ihres Nestes
Silberameisen am Eingang ihres Nestes
Das Geheimnis der Silberameisen ist ihre reflektierende Behaarung, die ihnen den namensgebenden silbrig-metallischen Glanz verleiht. Diese sogenannten Chitin-Härchen bedecken den Großteil ihres Körpers und haben einen Durchmesser von circa zwei Mikrometern. Ein menschliches Haar ist im Vergleich dazu etwa dreißigmal dicker. Und was sie noch voneinander unterscheidet: Während menschliche Haare rund sind, haben die Chitin-Härchen der Silberameise einen dreieckigen Querschnitt mit einer glatten und zwei gerillten Seiten. Die glatte Seite jedes dreieckigen Härchens weist in Richtung der Ameise, während die beiden gerillten Flächen von der Ameise weg zeigen. Diese spezielle Form fängt das Sonnenlicht mit den rauen Oberseiten ein und reflektiert es dann nahezu vollständig an der glatten Unterseite zurück in Richtung Himmel. Dadurch kann ein bedeutender Teil des intensiven Sonnenlichts den Körper der Silberameise nicht erreichen und somit auch nicht aufheizen.
Eine weitere Besonderheit der Silberameisen: Schon bevor sie ausstürmen, produzieren sie Hitzeschockproteine, die bei vielen anderen Lebewesen erst nach hoher Belastung – beispielsweise durch Hitze – erzeugt werden, um gewisse Körperfunktionen noch ein wenig länger aufrecht zu erhalten. 
 
Der haarige Schutzanzug und die vorproduzierten Hitzeschutzproteine ermöglichen es der Silberameise, außergewöhnlicherweise inmitten der Mittagshitze Nahrung zu finden und zum Ameisennest zu transportieren. 

 
Eine Silberameise unter dem Elektronenmikroskop und eine Skizze des Querschnitts eines Chitin-Härchens: Eine Silberameise unter dem Elektronenmikroskop und eine Skizze des Querschnitts eines Chitin-Härchens
Eine Silberameise unter dem Elektronenmikroskop und eine Skizze des Querschnitts eines Chitin-Härchens
Neben der starken Reflexionskraft sind die Chitin-Härchen der Silberameisen zusätzlich gute Strahler in den – verglichen zu sichtbarem Licht – viel größeren Wellenlängen des thermischen Infrarots. Um zu verstehen, welchen Nutzen die Silberameise daraus zieht und warum das für uns technisch sehr interessant sein kann, werfen wir einen kurzen Blick in die Physik: Jedes Licht ist eine Welle. Die Wellenlänge, d. h. der Abstand der Spitze eines Wellenbergs zur nächsten, bestimmt dabei die Farbe des Lichts. Das für den Menschen sichtbare Licht erstreckt sich über Wellenlängen von etwa 380 bis circa 750 Nanometern. Das blaue Licht liegt am Ende des sichtbaren Lichts mit der kürzeren Wellenlänge. Rotes Licht hingegen befindet sich am Ende mit der längeren Wellenlänge. Wellenlängen, die kürzer als die des blauen Lichts sind, heißen ultraviolett, während Wellenlängen, die länger als die des roten Lichts sind, infrarot genannt werden. 


Unterteilung des Lichtspektrums auf einer logarithmischen Skala in Mikrometern: Unterteilung des Lichtspektrums auf einer logarithmischen Skala in Mikrometern
Unterteilung des Lichtspektrums auf einer logarithmischen Skala in Mikrometern
Im Bereich des sichtbaren Lichts sowie in einigen Abschnitten des infraroten Lichts ist die Luft durchsichtig. Diese Abschnitte bezeichnet man als atmosphärische Fenster. Ein Großteil der Wärmestrahlung bei irdischen Temperaturen liegt in einem solchen atmosphärischen Fenster. Will man die eigene Körperwärme reduzieren, ist dies daher wegen des atmosphärischen Fensters auch durch Wärmestrahlung möglich. 
Das Konzept der passiven Strahlungskühlung nutzt einerseits eine hohe Wärmestrahlung im atmosphärischen Fenster. Andererseits wird eine hohe Reflexionskraft für den Bereich der Sonnenstrahlung genutzt, um ein weiteres Aufheizen durch die Sonne zu verhindern. Die Kombination dieser Reflexion und Wärmestrahlung kann einen Körper völlig ohne den Gebrauch von elektrischem Strom oder anderen verbrauchbaren Ressourcen auch bei starkem Sonnenschein kühl halten oder sogar schneller abkühlen lassen, als er durch die Sonne aufgeheizt wird. 
In der heutigen Technik sind dafür leider noch oft spezielle, teure oder seltene Materialien in komplizierten Anordnungen nötig, was die Sache kostspielig oder auch umweltbelastend gestalten kann. Die Silberameisen mit ihren Biomaterialien, die weder teuer noch selten sind, nutzen genau diese passive Strahlungskühlung: Während die Chitin-Härchen gut Wärme abstrahlen, ermöglicht deren spezielle Struktur gleichzeitig eine höchst effiziente Reflexion des Sonnenlichts. 
Nehmen wir uns Spezialisten wie die Silberameise als Inspiration, können wir beispielsweise Autos und Häuser in den heißen Sommermonaten kühl halten und so den Gebrauch von Klimaanlagen stark reduzieren. Gerade mit Blick auf die Klimaerwärmung sind die nachhaltigen Lösungswege der Natur mehr als willkommen. Und genau solche Lösungen finden sich in der Natur in unvorstellbarer Fülle – oft an unerwarteten Stellen. Ein offener Blick lohnt sich.

 
Silberameisen in der Sahara © BBC

 
August Hammel ist Masterstudent an der TU Wien.