Das Technische Museum Wien eröffnet im Frühjahr 2024 eine neue Dauerausstellung zum Klimawandel. Dort werden auch Stimmen von Umwelt- und Klimaaktivist_innen zu hören sein, die sich mit ihrem Engagement auf verschiedene Arten gegen den Klimawandel einsetzen. Eine starke Stimme ist die von indigenous leader Juma Xipaia, Anführerin eines Dorfes des indigenen Volkes der Xipaya im östlichen Amazonas-Regenwald in Brasilien.

Text: Sophia Rut, Jochen Hennig
Klimaschutz braucht indigene Rechte
Mi 03. Mai 2023
Der Amazonas-Regenwald gilt als „grüne Lunge“ des Planeten. Als riesiger CO2-Speicher und wichtiger Faktor für den Wasserkreislauf ist der Erhalt dieses größten Waldes der Welt ein Beitrag zum Klimaschutz. Trotz seiner enormen Bedeutung für den Planeten ist der artenreiche, brasilianische Regenwald alarmierend stark bedroht: Im Jahr 2022 wurde so viel Wald gerodet wie seit 15 Jahren nicht mehr. Während auf Waldflächen, die sich im privaten Besitz befinden, gut 20% der ursprünglichen Vegetation zerstört wurden, waren es auf indigenen Territorien lediglich 1%. Die Datenlage macht klar: Indigene Territorien sind ein unentbehrlicher Schutz für den Amazonas-Regenwald, bilden die Grundlage für schonende Formen der Waldnutzung und sind damit zugleich ein wichtiger Faktor für den Klimaschutz.
Im September 2022 nutzte Sophia Rut, Rechercheurin für die Klimawandel-Ausstellung im Technischen Museum Wien, den Besuch von Juma Xipaia in Österreich für ein Interview. Im Rahmen der Ausstellung soll ihr Engagement nicht lediglich sachlich dargestellt werden, vielmehr vermag ihr Statement Denkanstöße zu geben, zu inspirieren und einen Perspektivwechsel einzubringen.

Sophia Rut interviewt Juma Xipaia für das Technische Museum Wien
© Angie Rattay

Juma Xipaia im Rahmen der Wiener Erdgespräche 2022 im Gespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der Bundeministerin für Klimaschutz Leonore Gewessler
© Erdgespräche
Juma Xipaia ist Medizinstudentin an der Universität von Pará. Mit nur 24 Jahren war sie die erste Frau, die indigenous leader in der Region des Mittleren Xingu Amazonas-Regenwaldes wurde. Neben dem Schutz des Regenwaldes und der Autonomie der indigenen Völker setzt sie sich für Frauen- und Kinderrechte ein. Und gegen Korruption – was sie schon öfter beinahe das Leben gekostet hätte. Als Juma 2017 ein Korruptionssystem in Zusammenhang mit dem Bau des Belo Monte in ihrer Heimat aufdeckte, sind Anschläge auf sie verübt worden und sie erhielt unzählige Morddrohungen. Sie musste mit ihrer Tochter aus Brasilien fliehen, verbrachte ein Jahr in der Schweiz und war dort die erste Vertreterin der Xipaya, die vor einem Gremium der Vereinten Nationen sprach. Zurück in Brasilien, gründete sie das Instituto Juma, eine Umwelt- und Menschenrechtsorganisation, die sich für den Schutz indigener Völker und ihrer Gebiete im brasilianischen Regenwald einsetzt.
Der Bau des gigantischen Belo-Monte-Staudamms hat die Region um den Fluss Xingu in das internationale Bewusstsein gerückt. Die Planung und der Bau wurden über 30 Jahre durch lokalen wie auch weltweiten Protest begleitet, der einen zwischenzeitlichen Baustopp erwirkte und Investoren wie die Weltbank zum Einlenken und Ausstieg bewegte. Der Widerstand wendete sich gegen die ökologischen Auswirkungen wie auch die negativen sozialen Folgen. Als der Belo-Monte-Staudamm schließlich 2019 als viertgrößter Staudamm der Welt in Betrieb ging, war eine Fläche größer als der Bodensee geflutet. Ein großer Teil des verbleibenden Flusses verlor um 80% seines Wassers, da es ins Reservoir des Wasserkraftwerks umgeleitet wird. Tausende Menschen wurden aus dem überfluteten Gebiet zwangsumgesiedelt. Die drastische Reduzierung der Wassermenge im verbleibenden Flussteil bedroht die Lebensgrundlage der vom Fischfang lebenden ansässigen Familien, darunter indigene Gemeinschaften.
Für eine der Hörstationen in der Klimawandel-Ausstellung erinnert sich Juma Xipaia, wie sie selbst für Umweltschutz und Menschenrechte aktiv wurde. Darüber hinaus erzählt sie uns im Interview, warum sie in andere Länder reist, Kontakt mit der dortigen Bevölkerung sucht und was der Einsatz von Technik für sie bedeutet.
Juma Xipaia: „Wir stellen auf unseren Reisen folgende Fragen: Wie lebt ihr? Was konsumiert ihr? Was davon wird aus dem brasilianischen Amazonas exportiert? Vor allem illegale Waren haben einen großen Einfluss auf unsere Leben und auf unsere Zukunft.
Es ist also sehr wichtig, einen Dialog mit anderen Ländern zu führen. Außerdem sollte bekannt sein, welche Art von Geschäften gemacht werden, die einen großen Einfluss auf Brasilien haben. Es ist auch wichtig, darüber informiert zu sein, welche Länder in Brasilien investieren. Und uns ist es wichtig zu wissen, ob die Menschen in diesen Ländern sich dessen bewusst sind, was ihre Regierungen machen. Und deswegen müssen wir miteinander sprechen und uns darüber austauschen.“

Juma Xipaia auf der internationalen politischen Bühne, hier in der Wiener Hofburg beim Treffen mit Bundepräsident Van der Bellen
© Erdgespräche

In ihrer Heimat hat die Aktivistin Juma Xipaia das Instituto Juma zum Schutz indigener Rechte und Gebiete gegründet
© Erdgespräche/Instituto Juma
Juma Xipaia fordert die Menschen in ihren Gastländern auf, ihren Regierungen und Firmen auf die Finger zu schauen und Beteiligungen an sozial und ökologisch schädlichen Projekten zu unterbinden. Internationale Vernetzung sieht sie als Maßnahme zur Transparenz. Juma Xipaia weist bei ihren Besuchen in Wien auch kritisch auf die Involvierung Österreichs in das umstrittene Staudammprojekt Belo Monte hin. Die österreichische Firma Andritz lieferte essenzielle hydromechanische Ausrüstungen wie Turbinen für das Kraftwerk in Belo Monte. Die Verstrickungen von Staaten und Firmen in Projekte, die Ökosysteme und Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung bedrohen, möchte sie ins allgemeine Bewusstsein rücken, um eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen und sie so verhindern zu können.
Bei ihren kritischen Positionen zu großen Bauprojekten im Amazonas wäre es jedoch weit gefehlt, Juma Xipaia eine grundsätzliche Abwehrhaltung gegen technische Entwicklungen zu unterstellen. So stellt sie fest: „Wir dürfen uns nicht nur die Auswirkungen von diesen Handlungen ansehen, sondern müssen uns auch die Frage stellen, in welcher positiven Form Technologie uns, den brasilianischen Völkern und den indigenen Stämmen im Amazonas, helfen kann. Im April dieses Jahres gab es einen Vorfall mit Goldgräbern auf indigenem Territorium und ich habe nur geschafft es zu melden, weil ich Kontakt zu meinem Vater hatte, der in seinem Dorf war und mich anrief, weil er dort Internet hatte. Das war das erste Mal in Brasilien, dass innerhalb von weniger als 24 Stunden dagegen vorgegangen wurde und die Goldgräber aus unserem Gebiet vertrieben werden konnten. Wir können also lernen, die Technologie zu unseren Gunsten zu nützen und sie für das Gute einsetzen. Wir sollten sie nicht nur als etwas Negatives betrachten. Im Gegenteil: Wir können Technologie für unseren Austausch nutzen, für den Schutz unserer Gebiete und unseres Planeten.“
Selbst ein kurzes Gespräch mit Juma Xipaia wurde zu einem schnellen Streifzug durch eine Vielzahl miteinander verknüpfter Themen, etwa die enge Verbindung zwischen dem Schutz des Regenwaldes und Klimamaßnahmen mit dem Erhalt indigener Lebensgrundlagen. Äußerungen wie diese sollen ab Frühjahr 2024 dazu beitragen, die neue Klimaausstellung des Museums zu einem Ort der Vielstimmigkeit, der kritischen Reflexion wie auch der Inspiration zu machen.

Der Stausee des gigantischen Kraftwerks in Belo Monte bedeckt eine Fläche so groß wie der Bodensee. Die Planung und der Bau wurden jahrzehntelang von Protesten begleitet
© Christian Russau
Weiterführende Links:
- Video des Vortrags von Juma Xipaia im Rahmen der Wiener Erdgespräche im April 2022:
- https://www.youtube.com/watch?v=8JHvG7XUyyw
- Website des Instituto Juma, der von Juma Xipaia gegründeten NGO: https://institutojuma.org/
- Website des Dokumentarfilmers Martin Keßler, der über 10 Jahre den Bau des Staudamms in Belo Monte begleitet hat: https://www.neuewut.de/
Sophia Rut hat für die Klimaausstellung recherchiert und Interviews mit Umweltschützer_innen geführt. Jochen Hennig ist Kurator der Ausstellung.
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