Do 18. Januar 2024
Vor 40 Jahren – am 28. November 1983 – startete das europäische Weltraumlabor „Spacelab“ zu seinem Erstflug an Bord der US-amerikanischen Raumfähre „Columbia“ ins All. Für die Europäische Raumfahrtagentur ESA war es der Beginn der astronautischen Raumfahrt – für Österreich der Start der heimischen Weltraumindustrie.
Spacelab – Europas Weltraumlabor
Nach dem Apollo-Mondlandeprogramm, das 1972 endete, arbeite die NASA bereits am Nachfolgeprogramm: dem Bau von wiederverwendbaren Weltraumfähren. Sie sollten wie Raketen starten, aber wie Flugzeuge landen. Mit dem Space Shuttle versprach sich die NASA eine Erhöhung der Startfrequenz, eine Verbilligung der Raumfahrt und insgesamt mehr Forschung im Erdorbit. Bereits Anfang der 1970er-Jahre luden die USA Europa ein, sich am Space-Shuttle-Programm zu beteiligen. Letztendlich einigte man sich darauf, dass Europa für die Ladebucht der Fähre ein wiederverwendbares wissenschaftliches Labor, das „Spacelab“, bauen sollte. Insgesamt wurden dann zwei „Spacelabs“ von der ESA für die NASA gebaut: Eines ging als Geschenk in den Besitz der NASA über, das andere wurde angekauft. Es war das bis dato größte internationale Weltraumprojekt.   

Am Bau dieses prestigeträchtigen Labors waren zwölf europäische Staaten beteiligt – darunter auch Österreich, das 0,8 % der Gesamtkosten beisteuerte. So gering der Prozentsatz auch heute erscheinen mag, es war Österreichs Einstieg in die kommerzielle Raumfahrt und legte den Grundstein für einen ganzen Wirtschaftszweig. Im August 1975 schlossen die ESA und Österreich ein Vertrag ab, der vorsah, dass nicht nur die Industrie, sondern auch die Wissenschaft Zugang zum Labor und damit zum Weltraum bekam. Mastermind hinter Österreichs Engagement war Johannes Ortner, der nicht nur Direktor der „Österreichischen Gesellschaft für Weltraumfragen“ war, sondern sich als ESA-Mitarbeiter auch für den europäischen Teil des „Spacelab“-Programms verantwortlich zeichnete.
 
Das „Spacelab“ im Erdorbit in der geöffneten Ladebucht der Raumfähre Columbia : Das „Spacelab“ im Erdorbit in der geöffneten Ladebucht der Raumfähre Columbia
Das „Spacelab“ im Erdorbit in der geöffneten Ladebucht der Raumfähre Columbia
„Weltraumfenster“ – eine Bewährungsprobe für Österreichs Industrie 
Den Bau des Weltraumlabors übernahm ein Konsortium aus zehn Unternehmen unter Führung der Firma ERNO aus Bremen. 1977 bekam die in Wiener Neustadt beheimatete „Österreichischen Klimatechnik GmbH“ den Auftrag, für das Labor „Weltraumfenster“ (englisch: Viewports) zu konstruieren und zu bauen. Die Entscheidung dazu wurde rein auf industriepolitischer Ebene getroffen. Die zwei „Viewports“ konnten nur mithilfe der ESA und dem Know-how und Wissenstransfer von deutschen und englischen Ingenieuren umgesetzt werden. Bau und Entwicklung kosteten der Republik insgesamt 25 Millionen Schilling – nach heutigem Wert ca. 6,4 Millionen Euro.  Das „Bullauge“ hatten einen Durchmesser von 40 Zentimetern und bestand aus Spezialglas. Der Rahmen, mit dem das „Bullauge“ in das „Spacelab“ integriert wurde, wiederum aus einer speziellen Aluminiumlegierung. Da es unbekannt war, wie sich das Spezialglas im Weltraum verhalten würde, wenn es von einem Mikrometeoriten getroffen worden wäre, erhielt das Fenster eine Schutzabdeckung aus Aluminium, die von innen bedient werden konnte. Die hohen Temperaturschwankungen von mehreren hundert Grad Celsius zwischen Tag und Nacht und die daraus resultierenden unterschiedlich großen Verformungen von Glas und Aluminium, welche die gesamte Konstruktion aufnehmen musste, ohne „undicht“ zu werden, waren ebenso eine Herausforderung, wie eine möglichst leichte und stabile Konstruktion zu schaffen.
 
Das „Weltraumfenster“ (geschlossen) im Technischen Museum Wien: Das „Weltraumfenster“ (geschlossen) im Technischen Museum Wien
Das „Weltraumfenster“ (geschlossen) im Technischen Museum Wien
Das „Weltraumfenster“ im Technischen Museum Wien: Das „Weltraumfenster“ im Technischen Museum Wien
Das „Weltraumfenster“ im Technischen Museum Wien
Die Mission „Spacelab 1“
Mit „Spacelab“ begann auch die Suche nach den ersten drei europäischen Astronaut_innen. 1977 wählte die ESA neben dem Deutschen Ulf Merbold und dem Niederländer Wubbo Ockels, den Schweizer Claude Nicollier als Astronauten aus. Die erste „Spacelab“-Mission, die nach Verzögerungen schließlich Ende November 1983 starten sollte, war die neunte und der bisherige Höhepunkt des damals noch jungen Space-Shuttle-Programms. Welchen Stellenwert die Mission auch für die NASA hatte, zeigte, dass sie als Kommandanten der sechsköpfigen Besatzung ihren damals erfahrensten Astronauten,  John Young (1930–2018), auswählte. Für Young war es der sechste und letzte Einsatz; er stand bereits mit Apollo 16 am Mond und kommandierte auch den Erstflug des Space Shuttles 1981. Die beteiligten Wissenschafter_innen wählten den deutschen Physiker Ulf Merbold (*1941) als europäischen Teilnehmer der Mission aus. Es sollte sein erster von insgesamt vier Raumflügen zwischen 1983 und 1994 werden. 
 
Die Crew des STS-9 Fluges der Raumfähre Columbia (Ulf Merbold: auf der rechten Bildseite, zweite Reihe stehend): Die Crew des STS-9 Fluges der Raumfähre Columbia (Ulf Merbold: auf der rechten Bildseite, zweite Reihe stehend)
Die Crew des STS-9 Fluges der Raumfähre Columbia (Ulf Merbold: auf der rechten Bildseite, zweite Reihe stehend)
In seinem Buch „Flug ins All“ erinnert er sich an das Weltraumfenster: „Damit die Besatzung während des Flugs hinausschauen konnte, waren im Spacelab zwei Fenster eingebaut. Sie hießen Viewports und haben etwa die Größe eines Bullauges. Eines befand sich neben dem großen optischen Fenster in der Decke, das andere war im hinteren Konus installiert. Diese Viewports waren von außen durch Metallplatten geschützt, die man mit Hilfe eines Mechanismus von innen erst wegklappen musste, um nach außen sehen zu können. Dieser Schutz war deshalb nötig, um die Sonneneinstrahlung zu vermindern. Ich öffnete den Viewport im hinteren Konus. Durch die Scheibe sah ich alle Experimentanordnungen, die auf der sogenannten Palette montiert waren.“ 
 
Als Nutzlastspezialist hatte Ulf Merbold die Aufgabe das Forschungslabor einzuweihen und während des zehntägigen Fluges zusammen mit der Crew insgesamt 77 wissenschaftliche Experimente aus den USA, Japan und Europa durchzuführen, darunter auch drei aus Österreich: Je eines kam vom Institut für Weltraumforschung der Akademie der Wissenschaften in Graz, der Montanuniversität Leoben und der Universität Wien. Untersucht wurden dabei erdnahe magnetische Felder, das Löten im Vakuum unter Weltraumbedingungen und das Erstarren von Metallschmelzen im schwerelosen Zustand – alle drei Experimente funktionierten und hatten eine Erfolgsrate von 100 %. 
 
„Der Blick vom Weltraum zeigte mir wie klein, zerbrechlich und schön unser Planet in Wirklichkeit ist.“
Zwischen den Experimenten hatten Merbold und die Crew „[…] auch die Zeit, einen Blick durch einen der Viewports nach draußen zu werfen […]“ und den Ausblick auf die Erde mit Wagner-Musik im Walkman zu genießen. In einem kurz nach dem Flug veröffentlichten Buch zu „Spacelab“ erinnerte er sich daran, dass „[…] am spektakulärsten der Blick auf die hohen Berge (war). Was wir nicht sahen, waren die Grenzen zwischen den Staaten. Es brauchte nur eine Minute, um von einem Land in Europa zum nächsten zu fliegen, da begriff ich, dass wir auf einem kleinen Planeten leben. Die Mission fand im Dezember statt. Niemals zuvor fühlte ich so klar die Bedeutung der Weihnachtsbotschaft: ‚Et in terra pax – und Friede sei auf Erden.‘“ 
Auch den amerikanischen Missionsspezialisten Byron Lichtenberg (*1948) berührte der Anblick der Erde am meisten: „Der Blick vom Weltraum zeigte mir wie klein, zerbrechlich und schön unser Planet in Wirklichkeit ist. Die wichtigste Erkenntnis von diesem Flug in den Weltraum war, dass wir alle verantwortlich sind für unseren Planeten und wir auf ihn gut aufpassen müssen.“  Worte, die auch nach 40 Jahren nicht an Aktualität eingebüßt haben. 

Zwischen 1983 und 1998 flogen die zwei Spacelab-Module insgesamt 22-mal an Bord eines Space Shuttles. Bis zur Außerdienststellung konnten 720 Experimente durchgeführt werden. Heute sind die beiden Module im „Steven F. Udvar-Hazy Center“ des „National Air and Space Museum“ am Dulles International Airport in Washington D.C. in den USA und bei der Firma „Airbus Space and Defence“ in Bremen (Deutschland) ausgestellt. 
Die Erfahrungen, die beim Bau und dem Betrieb von „Spacelab“ gewonnen wurden, flossen in die Konstruktion des europäische Forschungsmodul „Columbus“ ein, das seit 2008 Teil der Internationalen Raumstation ISS ist. 
 
Start der Raumfähre Columbia zum Flug STS-9 am 28. November 1983 von Cape Canaveral: Start der Raumfähre Columbia zum Flug STS-9 am 28. November 1983 von Cape Canaveral
Start der Raumfähre Columbia zum Flug STS-9 am 28. November 1983 von Cape Canaveral
„Anschub“ für Österreichs Weltraumindustrie
Jene, Ende der 1970er-Jahren investierten, 25 Millionen Schilling entpuppten sich letztendlich als gut platzierte Anschubfinanzierung, denn das bei diesem Projekt gewonnene Know-how half österreichischen Firmen andere ESA-Aufträge zu gewinnen. 1981 trat Österreich zunächst als assoziiertes und ab 1987 als Vollmitglied der ESA bei. Heute sind in 120 heimischen Betrieben an die 1.000 Personen im Weltraumsektor beschäftigt, die einen Jahresumsatz von ca. 125 Millionen Euro erwirtschaften. In fast jedem europäischen und in immer mehr internationalen Satelliten und Raketen sind Antriebe, Tanks, Treibstoffleitungen oder Thermalisolationen aus Österreich verbaut. Und auch die NASA vertraut in ihrem neuen Mondlandeprogramm „Artemis“ und bei der geplanten Raumstation „Lunar Gateway“ im Mondorbit auf Elektronik und Triebwerkssteuermechanismen aus Österreich.
Der Grundstein für all das wurde vor 40 Jahren mit dem „Weltraumfenster“ der „Österreichischen Klimatechnik GmbH“ gelegt. Nach mehreren Firmenübernahmen und Fusionen ging dieses Unternehmen letztendlich in das Weltraumunternehmen „Beyond Gravity Austria“ auf, das den Prototyp des „Viewports“ anlässlich des Jubiläums des Erstflugs von „Spacelab“ dem Technischen Museum Wien als Geschenk übergab.

Christian Klösch, Kustos für Raumfahrt im Technischen Museum Wien

Weiterführende Literatur und andere Medien:
Bruno Philipp Besser, Austria's History in Space, Noordwijk 2004.
Ulf Merbold, Flug ins All. Von Spacelab 1 bis zur D1-Mission. Der persönliche Bericht des ersten Astronauten der Bundesrepublik, Bergisch Gladbach 1986.
David Shapland, Michael Rycroft, Spacelab. Research in Earth Orbit, Cambridge 1984.

Österreich am ersten „Spacelab“-Flug mit 3 Experimenten beteiligt
Österreichische Mediathek, Ö1 Mittagsjournal 18. Februar 1977: Min. 25:30–29:20
Österreich liefert Fenster für Weltraumlabor Spacelab
Österreichische Mediathek, Ö1 Mittagsjournal, 2. Februar 1979: Min. 41:20–45:57
Spacelab zurück – Österreichische Experimentatoren zufrieden
Österreichische Mediathek, Ö1 Mittagsjournal, 9. Dezember 1983: Min. 26:48–31:05

Meilensteine der österreichischen Weltraumforschung:
https://www.austrospace.at/meilensteine.html

Das „Weltraumfenster“ wird im Rahmen des Sonderformats „Objekt im Spotlight“ auf Ebene 4 präsentiert.