Mi 08. Mai 2024
Einst prägten sie das Wiener Stadtbild, nun sind sie Ausstellungsstücke: die Stationen und Räder des Vienna Citybikes. Im Rahmen unseres Sonderformats „Objekt im Spotlight“ präsentierten wir auf Ebene 4 ein typisches Wiener Leihfahrrad.
Die Geschichte des Leihfahrrads in Wien ist eng mit der Entwicklung des Systems in anderen europäischen Städten verbunden. Ausgangspunkt der Idee war die anarchische Gruppe „Provokation 5“ aus Amsterdam in den 1960er-Jahren. Sie forderte von der Stadtverwaltung Fahrräder im kollektiven Besitz, um die „Befreiung vom Autoterror“ einzuleiten. Das Vorhaben wurde zwar vom Gemeinderat abgelehnt, inspirierte aber andere Städte: Die französische Stadt La Rochelle experimentierte in den 1970er-Jahren mit einem öffentlichen Leihradsystem. Die Fahrräder konnten kostenlos an 23 Stationen ausgeliehen und retourniert werden. Ihr Einsatz war auf den historischen Stadtkern begrenzt, das Einsatzgebiet auf den Straßen entsprechend gekennzeichnet. Trotz Problemen wie Vandalismus und Diebstahl blieb das Interesse der Stadtverwaltung bestehen, allerdings musste das System aufgrund der kritisierten hohen Kosten neu aufgesetzt werden: Mit der Erweiterung des Leihsystems auf den Hafen der Stadt wurde die 100 Fahrräder umfassende Flotte von der Bank Crédit Agricole finanziert und entsprechend gebrandet. Die Fahrräder waren auch nicht mehr für alle, sondern nur noch für die Bootsbesitzer im Hafen, die für die Nutzung einen Nachweis erbringen mussten. Private (Co-) Finanzierung und Nutzungsbeschränkungen begleiteten von nun an die weitere Geschichte der Leihfahrräder.

Das Wiener Citybike als „Objekt im Spotlight“ im Technischen Museum Wienien: Das Wiener Citybike als „Objekt im Spotlight“ im Technischen Museum Wien
Das Wiener Citybike als „Objekt im Spotlight“ im Technischen Museum Wien
Holpriger Start in Wien
Als Vorbild für viele europäische Städte, darunter auch Wien, diente das Kopenhagener Leihradsystem, das Mitte der 1990er-Jahre eingeführt wurde. Das System basierte auf dem Münzschloss-Prinzip, das Supermärkte nutzen, um den Diebstahl bzw. die Zweckentfremdung ihrer Einkaufswägen zu verhindern. Das Schloss für eines der anfänglich 1.000, später 2.500 Fahrräder, verteilt auf 120 Stationen, ließ sich mit einem 20-Kronen-Stück öffnen. 
 
1998 kündigte der damalige Wiener Verkehrsstadtrat Fritz Svihalek die Einführung von stationären, urbanen Leihfahrrädern in Wien an. Der Start des Betriebs mit 2.500 „Stadtradln“ an über 200 Standorten innerhalb des Gürtels war für 1999 vorgesehen. Nach mehreren Verschiebungen erfolgte der Startschuss schließlich 2002, Betreiber war der private Verein „Viennabike“. Wie auch in Kopenhagen sollte die Finanzierung über Werbung auf den Fahrrädern und Zuschüssen von der Stadt Wien erfolgen. Mit einer Zwei-Euro-Münze als Pfand konnten die Fahrräder entriegelt werden. Allerdings waren schon nach wenigen Wochen von den anfänglich 1.500 Fahrrädern nur noch wenige vorhanden. Oftmals fielen die einfachen Drei-Gang-Räder Vandalismus und Fahrraddiebstahl zum Opfer. 2003 wurde das Projekt eingestellt, der Betreiber ging in Konkurs. Die verbliebenen Fahrräder wurden im Internet um bis zu 200 Euro versteigert.
 
Viennabike, 1992: Viennabike, 1992
Viennabike, 1992
Zusammenarbeit von Privatwirtschaft und Stadt 
Bei der Ausschreibung für den Aufbau eines Nachfolgesystems konnte das Werbeunternehmen Gewista das schlüssigste Konzept vorlegen. Dessen Mehrheitseigentümer, das französische Unternehmen JCDecaux, ist auf Außenwerbung und Stadtmöbel spezialisiert und nutzte Wien als ersten Testballon für eine Public-Private-Partnership-Kampagne für stationäre Leihräder in der Stadt. Ausgehend von Wien haben die Fahrräder des Systems Cyclocity einen rasanten Aufstieg erlebt: 2011 meldete JCDecaux 200 Millionen Stationen für 47.000 Fahrräder in 67 Städten und 10 Ländern weltweit. Mit den Fahrrädern wurde auch die darauf befindliche Bewerbung durch die Stadt bewegt.
 
Die Zusammenarbeit von Privatwirtschaft und Stadt war lange Jahre erfolgreich. In Wien startete der saisonale Probebetrieb von „Citybike Wien“ im Mai 2003. Im Unterschied zur ersten Leihrad-Generation war eine Registrierung via Bankomatkarte notwendig, ab 2006 konnte dies über eine Kreditkarte, danach auch mit Citybike Card oder Tourist Card, erfolgen. Ab 2007 standen die Citybikes das ganze Jahr über zur Verfügung. Mitte der 2010er-Jahre waren 1.500 Fahrräder an 121 Stationen in Wien verfügbar. Dabei war die erste Stunde jeder Entlehnung gratis, ab der 2. Stunde war ein Betrag zwischen 1 und 4 Euro zu entrichten; die maximale Entlehndauer betrug 5 Tage. Längere Ausleihen wurden mit einer Pauschalgebühr von 600 Euro verrechnet.
 
Citybike von Gewista, 2008. Terminal am Schwarzenbergplatz: Citybike von Gewista, 2008. Terminal am Schwarzenbergplatz
Citybike von Gewista, 2008. Terminal am Schwarzenbergplatz
2017 wurden ein neues Kapitel aufgeschlagen: Neue technische Möglichkeiten digitaler Vernetzung und mobiler Apps machten es möglich, dass sich unter dem Slogan einer „Sharing Economy“ die ersten stationslosen Leihfahrradsysteme in Wien etablierten. Diese Fahrräder der Anbieter ofo und obike erregten bald die Gemüter, da sie allzu häufig ihrem eigentlichen Zweck der schnellen Verfügbarkeit per Smartphone-App nicht nachkamen und stattdessen defekt am Straßenrand bzw. auf der U-Bahntrasse oder im Wienflussbett landeten. Als dann die beiden Anbieter, obike mit dem Sitz in Singapur und ofo mit Sitz in Peking, im Sommer 2018 in Zahlungsschwierigkeiten gerieten und sich nicht mehr weiter um die in Wien befindlichen Leihfahrräder kümmerten, sammelte die zuständige MA 48 die herrenlosen Räder im Herbst 2022 ein.
 
Nachdem die Auseinandersetzung über stationslose Fahrräder vorbei bzw. durch die neu aufkommenden stationslosen E-Scooter verlagert worden war, spitzte sich 2020 schließlich der Konflikt um die weitere Finanzierung zwischen Gewista und der Stadt Wien zu: Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Kosten für Errichtung und Erhaltung der 121 Stationen geteilt worden. Da laut Gewista 95 % der Fahrrad-Ausleihen unter einer Stunde lagen, waren dies Gratisfahrten und brachten somit keinen Ertrag. Die gänzliche Übernahme der Finanzierung aller Stationen wurde von der Gemeinde ausgeschlossen.  Nach den gescheiterten Verhandlungen und einer interimistischen Weiterführung durch die Wiener Linien endete der Citybike-Betrieb am 31. März 2022.
 
WienMobil: Neues Leihradsystem 
Mit 1. April 2022 wurden die Citybikes durch die WienMobil-Räder der Wiener Linien abgelöst. Damit ging auch ein neues Verständnis der Leihräder einher. Für die Wartung und Verteilung der mittlerweile 3.000 Sieben-Gang-Räder an 240 Stationen ist der deutsche Betreiber Nextbike zuständig, der mittlerweile in mehr als 300 Städten Leihradsysteme betreibt. Die Registrierung und Anmeldung erfolgt über die Nextbike-App, danach öffnet sich das Rahmenschloss automatisch. Im Gegensatz zu Citybike-Stationen sind somit keine Terminals für die Registrierung notwendig, was die Errichtung oder Verlegung von Stationen erleichtert. Bei der Rückgabe wird das Rad entweder an einer freien Dockingstation abgestellt und mit dem Rahmenschloss verriegelt oder an ausgewiesenen öffentlichen Rahmenbügeln abgestellt und mit einem Zahlenschloss gesichert. Die Räder werden per GPS geortet, so dass sie per App gefunden werden können. Zur Ausstattung gehören Standlicht vorne und hinten, Luftbereifung (statt Vollgummireifen) sowie am Rahmen montierte Körbe.
 
Wolfgang Stritzinger, Kustos für Luft- und Schifffahrt sowie Verkehrskontrollsysteme im Technischen Museum Wien
 
Das „Citybike“ wurde im Rahmen des Sonderformats Objekt im Spotlight auf Ebene 4 präsentiert.